Warum, erklären wir im Nachfolgenden:
Wer in der mündlichen Verhandlung zu der streitgegenständlichen Rechtssache am 27.06.2024 zugegen war, hat gehört, in welche Richtung der I. Zivilsenat unter Leitung seines Vorsitzenden, Prof. Dr. Koch, tendiert. Der Vorsitzende hatte deutlich gemacht, dass man grds. bei seiner Rechtsauffassung bleibe, welche man bereits mit Beschluss vom 22.03.2024 - I ZR 88/23 - kundgetan hat. Man erachte Online-Glücksspielverträge als nichtig, wenn die genutzten Online-Glücksspiele ohne Vorliegen einer nationalen Lizenz angeboten worden sind. Allerdings unterscheide sich der streitgegenständlichen Fall - I ZR 90/23 - vom Fall im Verfahren - I ZR 88/23 - insoweit, dass Tipico eine Lizenz zum Vermitteln und Veranstalten von Online-Glücksspielen (konkret: Sportwetten) beantragt aber nicht erhalten hatte und man prozessual unterstellen muss, dass Tipico auch die Voraussetzungen der Lizenzerteilung nachträglich eingehalten hätte. Gerade Letzteres war in dem Verfahren - I ZR 88/23 - nicht der Fall. Obgleich der Senat dazu tendiere, auch in dieser Konstellation aller Voraussicht zum gleichen Ergebnis zu gelangen, würde er die Angelegenheit nochmal prüfen. Insbesondere vor dem Hintergrund einer möglichen Aussetzung des Verfahrens wegen bereits anhängiger Verfahren vor dem EuGH oder aufgrund einer etwaigen eigenen Vorlage an den EuGH.
Warum die Aussetzung des Verfahrens und die eigene Vorlage an den EuGH im Ergebnis die einzig richtigen Entscheidungen sind, lässt sich dann verstehen, wenn man die letzten Monate Revue passieren lässt. Es ist der 14. Juli 2023, plötzlich geht beim EuGH eine Vorlage eines maltesichen Gerichts ein, welches dem EuGH Vorlagefragen zur unionsrechtlichen Klärung bzgl. dem deutschen Glücksspielstaatsvertrag stellt, und welche fortan unter dem Az: C-440/23 geführt wird. Sie haben richtig gehört. Ein maltesisches Gericht fragt das höchste europäische Gericht, wie man deutsches Recht unionsrechtmäßig auslegen soll. Ist das rechtens? Offensichtlich schon. Wieso passiert das? Das ist eine berechtigte Frage, die unter Berücksichtigung dessen, wie diese Vorlage zustande gekommen ist, Fragen zulässt, die spätestens nach Abschluss des gesamten rechtlichen Komplexes der Rückforderungen von Verlusten beim unerlaubten Online-Glücksspiel beantwortet werden (müssen). Jedenfalls ist diese Vorlage unter mysteriösen Umstände zustandekommen, welche an dieser Stelle nicht weiter vertieft werden sollen. Nachdem sich etliche Oberlandesgerichte mit der Thematik beschäftigen und auch der EuGH selbst auf diese Umstände hingewiesen wird, sieht sich plötzlich ein Einzelrichter am Landgericht Erfurt berufen, einen Alleingang zu starten und dem EuGH seinerseits eine Vorlage bzgl. offener europarechtlicher Fragen zum deutschen Glücksspielstaatsvertrag stellen zu wollen. Damit wäre das Problem der Vorlage aus Malta obsolet, denken sich viele. Mag sein, aber auch die Umstände um die Vorlage des Einzelrichters des LG Erfurt werfen Fragen auf. Immerhin war der betroffene Einzelrichter in der Vergangenheit im hiesigen Kontext nicht in Erscheinung getreten. Aber seine Vorliebe zur Vorlage an den EuGH soll wohl schon aus dem Abgasskandal bekannt sein. Jedoch wurden die Fragen der Vorlage unter tatkräftiger Unterstützung von Anwälten der Glücksspiel-Industrie formuliert. Das kann ein Problem sein, muss es aber nicht. Aber es soll wohl schon vorgekommen sein, dass der EuGH Vorlagefragen beantworten musste, die so gestellt waren, dass sie das für den Vorlagefragesteller beste Ergebnis liefern mussten. Die Vorlagen aus Malta und vom Einzelrichter aus Erfurt sind aber beide im Ergebnis nicht förderlich für die Beantwortung der Fragen, ob die deutschen Glücksspielregelungen und die zivilrechtlichen Folgen des Internettotalverbots bzw. des Verbots mit Erlaubnisvorbehalt europarechtskonform sind. Und nun kommt der BGH ins Spiel. Denn durch die Vorlage des BGH werden auf einen Schlag mehrere "Fliegen mit einer Klatsche" geschlagen. Der EuGH darf über eine rechtlich saubere und neutrale Vorlage entscheiden und muss sich nicht mit interessengetriebenen Vorlagefragen Dritter beschäftigen. Dass er dies nicht tun wird, insbesondere hinsichtlich der Vorlagefrage aus Malta zeigt bereits der Umstand, dass der EuGH das Verfahren C-440/23 mit der Vorlage aus Malta inzwischen selbst (ohne Begründung) ausgesetzt hat. Offensichtlich hat er kein sonderliches Interesse, sich mit solchen Vorlagefragen zu beschäftigen. Gleichzeitig hat der BGH dem EuGH aber seine eigene Rechtsauffassung mitgeteilt mit der Bitte, diese im Hinblick auf etwaige europarechtliche Fragen zu überprüfen. Der Beschluss des I. Zivilsenats ist im Zeitpunkt der Erstellung dieses Beitrages zwar leider noch nicht veröffentlicht, aber der Vorsitzende des I. Zivilsenats konnte die Rechtsauffassung des I. Zivilsenats bereits mündlich kundtun. Sie ist und bleibt wie oben bereits beschrieben.
Hätte der BGH das eigene Verfahren nicht ausgesetzt und dem EuGH selbst keine Vorlage unterbreitet, hätte der EuGH unweigerlich über eine der beiden anderen vorgenannten Vorlagen entscheiden müssen, was ihm nun wohl erspart bleibt.
Gleichzeitig holt sich der I. Zivilsenat des BGH mit seiner Vorlage die Sicherheit, dass seine fundierte und überzeugte Rechtsauffassung richtig und europarechtlich nicht zu beanstanden ist. Dies wird Klarheit für alle Parteien schaffen.
Es ist zudem damit zu rechnen (und zu hoffen), dass der EuGH die Vorlage zum Anlass nimmt und sämtliche offene Rechtsfragen (sei es zum Online-Casino, zu Sportwetten etc.) europarechtlich beantwortet. Hiervon geht wohl auch der I. Zivilsenat des BGH aus, wenn man "zwischen den Zeilen liest".
Auch wenn nunmehr erneut einige Zeit "ins Land" gehen wird, sind wir positiv gestimmt, dass die Vorlageentscheidung des BGH - vordergründig aus den vorgenannten Gründen - für geschädigte Spieler im Ergebnis die richtig Entscheidung war.
Was nun die Aussetzung von Verfahren auf Instanzebene angeht, wird darauf hingewiesen, dass nicht letztinstanzliche Gerichte weiterhin ein eigenes Ermessen haben, ob sie Verfahren derselben Art aussetzen oder nicht. Im Hinblick auf ein drohendes "Klumpenrisiko", wenn nach einer Entscheidung des EuGH sämtliche Verfahren wieder aufgenommen werden müssen, kann nur dringend dazu geraten werden, die Verfahren weiterzuführen. Denn allein aus verjährungsrechtlichen Gesichtspunkten wird die Einreichung neuer Klagen durch diese Umstände nicht beeinflusst.
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